Anatomie und Funktionsweise des Pferdemagens – und warum so viele Pferde unter Magengeschwüren leiden
Die Anatomie des Pferdemagens
Der Magen des Pferdes ist ein vergleichsweise kleines, L-förmiges Organ mit einem Fassungsvermögen von nur etwa 10–15 Litern – bemerkenswert wenig für ein so grosses Tier. Die Nahrung gelangt über die Speiseröhre in den Magen, wo sie mit Magensaft vermischt und in die Verdauung eingebunden wird. Eine anatomische Besonderheit ist die Zweiteilung der Magenschleimhaut:
- Pars non glandularis (drüsenloser Teil): entspricht etwa dem oberen Drittel. Dieser Abschnitt produziert keinen Magensaft und ist kaum gegen Säure geschützt.
- Pars glandularis (drüsenhaltiger Teil): bildet Magensäure und ist durch Schleim und Bikarbonat vor dieser Säure geschützt.
Zwischen diesen beiden Abschnitten liegt die Grenzlinie Margo plicatus, eine wichtige anatomische Trennlinie – und häufige «Schwachstelle» für Magengeschwüre.
Die Funktion des Magens
Die Hauptaufgaben des Magens sind:
- Durchmischung der Nahrung mit Magensaft durch Muskelkontraktionen.
- Ansäuerung des Futters durch Salzsäure (HCl) zur Keimabtötung.
- Spaltung von Proteinen durch das Enzym Pepsin.
Wichtig zu wissen: Im Gegensatz zum Menschen produziert der Pferdemagen permanent Magensäure – selbst dann, wenn das Pferd keine Nahrung aufnimmt.
Warum entstehen Magenprobleme? – Das Equine Gastric Ulcer Syndrome (EGUS)
EGUS, also das Magengeschwür-Syndrom beim Pferd, ist eine weitverbreitete und leider oft unterschätzte Erkrankung. Dabei handelt es sich um Entzündungen oder Geschwüre der Magenschleimhaut, ausgelöst durch ein Ungleichgewicht zwischen Säureproduktion und körpereigenem Schutzmechanismus.
Ursachen:
- Fresspausen über 4 Stunden
- Unzureichende Raufutterzufuhr
- Hoher Kraftfutteranteil (Getreide, Zucker)
- Stress (Haltungsform, Training, Stallwechsel)
- Medikamentengabe (v.a. NSAIDs, Cortison)
- Schlechte Futterqualität
Wenn zu wenig Futter aufgenommen wird, fehlt der «Puffer» durch Speichel und Futterbrei. Die aggressive Säure kann dann die ungeschützte Schleimhaut des drüsenlosen Teils angreifen – Schleimhautreizungen, Entzündungen und Geschwüre sind die Folge.
Fütterung und ihre zentrale Rolle
Raufutter als Schutzfaktor
Raufutter wie Heu oder Gras sollte dauerhaft verfügbar sein – oder mindestens so häufig, dass keine Fresspausen über 3–4 Stunden entstehen.
Die Vorteile:
- Viel Speichelbildung = viel Bikarbonat zum Säurepuffern
- Lockere Konsistenz = gute Vermischung mit Magensaft
- Schnelle Magenpassage = Säure wird schneller weitertransportiert
Kraftfutter als Risikofaktor
Getreidehaltiges Futter wird im Magen mikrobiell zersetzt, dabei entsteht zusätzlich Milchsäure – ein weiterer Säurelieferant. Gleichzeitig liegt Kraftfutter oft schwer und kompakt im Magen und vermischt sich schlecht mit Magensaft. Es verbleibt zudem länger im Magen – die perfekte Voraussetzung für Übersäuerung und Schleimhautschäden.
Problematische Futtermittel bei empfindlichen Pferden
Futtermittel
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Risiko
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Äpfel
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Hoher Fructose- & Säuregehalt → Milchsäurebildung
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Bananen
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Sehr zuckerreich
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Zitrusfrüchte
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Hoher Säuregehalt
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Trockenes Brot
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Weissmehl, hohe Stärke → stark säurebildend
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Leckerlis
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Meist zucker- & getreidereich
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Scharfe Gewürze
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Schleimhautreizend, v.a. bei empfindlichen Pferden
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Tipp: Bei gesunden Pferden in kleinen Mengen erlaubt – bei «Magenkandidaten» strikt meiden!
Medikamente als Risikofaktor
Vor allem entzündungshemmende Medikamente (NSAIDs) wie Phenylbutazon hemmen die Bildung des schutzgebenden Prostaglandin E2. Ohne dieses Prostaglandin wird weniger Schleim produziert – die Magenschleimhaut verliert ihre Schutzbarriere. Weitere Risikomedikamente:
- Cortison
- Schleimlöser
- Langzeitantibiotika
Stress – der unsichtbare Auslöser
Stress reduziert die Magendurchblutung und hemmt die Schleimproduktion. Typische Stressfaktoren:
- Häufige Transporte
- Leistungsdruck im Sport
- Unruhige Herdenstruktur
- Futterneid und Rangordnungskämpfe
- Boxenhaltung mit eingeschränkter Bewegung
Stressabbau durch artgerechte Haltung ist ein zentraler Punkt im Management magenempfindlicher Pferde.
Verbreitung – eine unterschätzte Epidemie?
Eine Studie (McClure et al., 1999) zeigt alarmierende Zahlen:
- 93% der Rennpferde
- 63% der Sportpferde
- 50% der Fohlen
- 37% der Freizeitpferde
...zeigten Magenläsionen bei einer Gastroskopie. Die tatsächliche Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher sein, da viele Symptome unspezifisch sind (z.B. Leistungsminderung, Unrittigkeit, stumpfes Fell, Gähnen, Leerkauen, Kolikneigung).
Fazit: So bleibt der Pferdemagen gesund
- Raufutter ad libitum anbieten (v.a. Heu!)
- Fresspausen < 4 Stunden
- Kraftfutter reduzieren oder ersetzen
- Stress minimieren – Herdenhaltung verbessern
- Regelmässige Kontrollen bei empfindlichen Pferden
- Bei Medikamentengabe: immer an Magenschutz denken!